BILDEBENE.
Die Übergänge geben den Rhythmus der Reise vor.
VON FLIESSENDEN ÜBERGÄNGEN UND HARTEM SCHNITT
Im 360°Film ist die Projektionsfläche grundsätzlich viel grösser als im konventionellen Film und beinhaltet grundsätzlich mehr Informationen zur selben Zeit. Es wird nicht in einer Folge von kadrierten Einstellungen erzählt, sondern mit aneinandergereihten Räumen. Ein Schnitt in einem Head Mounted Display (HMD) ist nicht nur ein Wechsel der Einstellung, sondern seiner ganzen Umgebung. Der Wechsel wird deshalb viel intensiver wahrgenommen und ist im Bezug zur Rezeption des Publikums unberechenbarer. Dies wird hauptsächlich von folgenden Faktoren bestimmt:
Blickrichtung
Bei einer 360°Film-Rezeptionssituation wird die Möglichkeit des Drehens um die Körperachse vorausgesetzt um dem Panorama-weiten Geschehen im Raum folgen zu können. Dies ist nur stehend oder auf einem Drehstuhl sitzend möglich. Dieser zusätzliche Freiheitsgrad der Ausrichtung ist gegenüber dem klassischen Film ein neues Element. Insbesondere beim ‘Schnitt’, beim Wechsel von einem Raum zum andern, ergeben sich Herausforderungen bezüglich der Lenkung der Aufmerksamkeit. Es stellt sich die Frage, wie die Kontinuität der Geschichte trotz des intensiv wahrgenommenen Übergangs gewährleistet werden kann. Beobachtungen bei Test-Screenings und die Auswertungen von Befragungen haben verdeutlicht, wie wichtig es ist, dass die Orientierung im Werk gewährleistet wird, dies insbesondere bei einem Publikum, dass das Sichten von 360°Filmen durch ein HMD nicht oder noch wenig gewohnt ist.
Soll der Fluss der Geschichte aufrechterhalten werden empfehlen wir beim Übergang die Aufmerksamkeit der Betrachtenden zu lenken und die Ausrichtung vor und nach einem Schnitt, einem Übergang nach Interessenspunkten zu planen. Konkret gilt es zu beachten, dass die Interessenspunkte am Ende einer Einstellung mit der folgenden – am Anfang der nächsten Einstellung – aufeinander liegend platziert werden. So wird sichergestellt, dass die Aufmerksamkeit der Betrachter*in auf die Elemente gerichtet bleibt, die für das Verständnis der Geschichte wichtig sind. Abhängig vom Gestaltungsansatz kann innerhalb einer Plansequenz durchaus Freiraum geboten werden, so dass die explorative Qualität des 360°Films genutzt und mit der individuellen Erfahrung des Raums gespielt werden kann.
Dieser Ansatz ist bereits in der Vorproduktion mit einzubeziehen. Jessica Brillhart hat dazu lesenswerte Artikel geschrieben:
Rhythmus
Der Rhythmus des ‘Schnitts’ sollte aufgrund der (oftmals eher bescheidenen) Erfahrung des Publikums mit 360°Filmen und der geplanten finalen Projektionsform auf ein HMD, Desktop oder mobilem Screen angepasst werden. Zusätzlich spielt die Ausrichtung für den Rhythmus eine wichtige Rolle. Je schneller man schneiden will, desto näher sollten die Interessenspunkte am Ende einer Einstellung und die am Anfang der folgenden platziert werden. So wird verhindert, dass die Betrachtenden durch Kopf- und Körperdrehungen den Anschluss der Handlung suchen müssen. Was im 360°Film durch Körperausrichtung erreicht wird, geschieht beim konventionellen Film mittels Augenbewegung. Ein Beispiel für Rhythmus und Interessenspunkte im konventionellen Film ist das Center Framing in Mad Max Fury Road.
Häufig angewandte ÜbergangsFormen
Basierend auf der Sichtung von diversen 360°Produktionen während des Projekts lassen sich folgende Schnittformen als häufig betrachten:
Fade to Black oder White
Diese Übergangsform gilt als Klassiker und erinnert an das auf- und zuziehen des Vorhangs im Theater. Sie kann auch als Ende von einer Szene oder eines Kapitels interpretiert werden. Bei diesem Übergang müssen die Interessenspunkte nicht zwingend übereinstimmen, da die Einstellungen mit einem neutralen Schwarz- oder Weissblende unterbrochen werden. Es ist durchaus möglich, dass der Interessenspunkt in der neuen Szene erst gesucht werden muss und dies als gestalterisches Element eingesetzt wird. Liegt der neue Interessenspunkt ausserhalb des Sichtfelds, d.h. verschiebt er sich gegenüber dem letzten um mehr als ca. 110° in der Horizontalen und um mehr als ca. 70°, dann kann ein zusätzlicher Hinweis mit einem akustischen Signal durchaus hilfreich sein.
Überblendung
Diese verbindet die beiden Szenen durch Überblendung. Sie leitet die Zuschauerin, den Zuschauer sanft von einer Einstellung zur anderen. Hier ist die Montage nach Interessenspunkten ein interessanter Ansatz.
Harter Schnitt
Diese Variante hat seine Tücken. Die/Der Filmemacher*in sollte sich sicher sein, dass die zuschauende Person beim Wechsel des Raums zum vorgesehenen Interessenspunkt schaut damit nach dem Schnitt die Orientierung gewährleistet werden kann. Diese Schnittart kann wie im konventionellen Film durch den Rhythmus der Musik kombiniert und unterstützt werden.
Natürlich können die eben beschriebenen Schnittvarianten auch kombiniert werden, wie dies das folgende Beispiel zeigt:
Jump Cut
Ein Jump Cut ist ein Sprung in der Zeitebene durch einen Schnitt in der selben Einstellung. Dies funktioniert auch in 360°Filmen.
Animation
Übergänge können auch durch aufwendige Animationen erstellt werden. Ein gutes Beispiel dafür ist iPhilip (Hulu VR, 2017).
Kamerafahrt
Bei dieser Form eines Übergangs ‘fährt’ man in in den Raum der nächsten Einstellung. Dieser Übergang funktioniert besonders bei Fahrten gut, orientiert sich doch der grösste Teil der Rezipierenden in Richtung der Fahrt. Sie möchten, wie am Steuer eines Fahrzeugs, sehen, wohin die Reise geht.
Arbeiten am Schnittplatz
Wir empfehlen am Schnittplatz wann immer möglich ein Head Mounted Display zu installieren. Damit ist es einfach möglich, das Projekt immer wieder zu visionieren und die Übergänge, den Effekt des Raumwechsels, zu kontrollieren und präzise auszugestalten. Bei Premiere Pro z.B. kann mit Hilfe von GoPro VR Plugins der Programmmonitor direkt im Headset angezeigt werden. Wir empfehlen zusätzlich zur internen Prüfung auch Visionierungen mit einem externen Publikum. Insbesondere Visionierungen mit einem Laienpublikum erzeugen deutliche Reaktionen und geben so wertvolle Hinweise für eine möglichst präzise Montage der Bilder. Im Zentrum der Beobachtungen stehen die Orientierung, Ausrichtung, Rhythmus und Aufmerksamkeitsspanne.
Fazit
Der Schnitt ist auch im 360°Film ein effektives Mittel, um die Narration voranzutreiben und um eine Geschichte attraktiv zu erzählen. Dabei kann jedoch nur teilweise auf das Wissen vom klassischen Film zurückgegriffen werden. Da nur wenig Erfahrungswissen zur Verfügung steht, empfiehlt es sich, Tests einzuplanen und die Erfahrung des Testpublikums in den Arbeitsprozess mit einzubeziehen.
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