Workflow Pre-Produktion – EFFIZIENT ZUM ZIEL
Eine strukturierte und vorausschauende Planung reduziert Kosten und schont die Nerven
Akquise
Grundsätzlich sollte geklärt werden, ob ein 360°Film für die Umsetzung des geplanten Projekts das richtige Format ist. Folgende Fragen können helfen, dies herauszufinden:
Spielt der 360°Raum für die Vermittlung des Inhalts, der Geschichte eine bedeutsame Rolle: entsteht bspw. durch die räumliche Anordnung eine ganz spezifische Atmosphäre oder gilt es räumliche Dimensionen darzustellen?
Entsteht für die betrachtende Person einen Mehrwert, wenn sie den filmischen Raum nach und nach entdecken kann, indem sie mit einem Head Mounted Display (HMD) im Werk herumschaut? Bietet der Raum genügend Details um die Aufmerksamkeit und Spannung der Zuschauenden zuhalten?
Narration: spielt der Raum eine tragende Rolle in der Erzählung und ist das Verständnis der Handlung an Details gebunden, welche die zuschauende Person nicht verpassen darf?
Sind uns die Möglichkeiten und Herausforderungen im 360°Filmformat bekannt, um Zuschauende zu führen und den Blick mit visuellen und akustischen Signalen auf wichtige Details zu lenken?Ist die Distribution des Films über 360° Kanäle geplant und verfügt das Zielpublikum über die entsprechenden Abspielgeräte? Ist die Produktion ganz spezifisch für ein Publikum mit entsprechender 360°Rezeptionssituation ausgerichtet (bspw. Kinosaal mit mehreren HMD’s)?
Aus der Praxis: Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde das Filmprojekt NACHTSPIEL (Müller und Merkle, 2019) realisiert, ein räumliches Oeuvre aus Licht und Klang. In enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten und Musiker Fritz Hauser entstand ein subtiler Dialog zwischen Perkussionsklängen und der knatternden, zischenden Melodie eines orchestrierten Feuerwerkes. Was in einem dunklen und scheinbar kleinen Raum mit flackernden Zündschnüren beginnt, entwickelt sich hin zu einem vielschichtigen Spektakel im weitläufigen Raum. Die Zuschauenden werden durch Klänge und Lichteffekte auf unterschiedliche Ereignisse aufmerksam und entscheiden, welchen sie folgen wollen. Das Erkunden und die individuelle Erfahrung des Raums ist essentieller Bestandteil des Werks. Die Erzählung ist zeitlich und dramaturgisch strukturiert, bleibt aber in ihrer Form offen für ein individuelles Erleben. Das Zusammenspiel von Bild und Ton schafft poetische Momente, aber auch Momente der Unruhe. Durch das Experimentieren mit verschiedenen Soundsets wurde das Zusammenspiel von Bild und Ton im 360° Film erkundet. Ein Feld, das es weiter zu erforschen gilt.
Konzeption
Projektskizzen
Bei der Umsetzung eines 360°Films empfiehlt es sich bereits zu Beginn – parallel zur textlichen Beschreibung – das Vorhaben auch visuell zu skizzieren. Mit einer ‘bildnahen Notierung’ werden Möglichkeiten und Grenzen einer Realisation erkennbar und gleichzeitig lässt sich anhand dieser visuellen Vorlage effizient und nachvollziehbar mit Auftraggebenden und Mitarbeitenden kommunizieren. Ansätze und Ideen für das visuelle Skizzieren von 360°Filmen sind im Abschnitt Storyboard zu finden.
Planung der Prozesse bis zur Postproduktion
Wie im konventionellen Film ist auch im 360°Film eine gute Planung sehr wichtig. Beim 360°Film ist besonders darauf zu achten, was schlussendlich im Film zu sehen und zu hören sein soll. Korrekturen und Retuschen in der Postproduktion sind aufwändig und nicht alles ist nachträglich noch machbar. Eine Planung aller Prozesse und ein regelmässiger Austausch zwischen den ausführenden Fachpersonen ist dadurch sehr wichtig.
Budget
Die Aufnahme der Rohdaten am Drehort verursachen, wie in der herkömmlichen Filmproduktion, einen verhältnismässig kleinen Anteil an den Gesamtkosten. So gibt es immer einfacher zu bedienende und kostengünstigere Kamera-Systeme die es auch wenig erfahrenen Person erlauben 360°Filmaufnahmen zu erstellen.
Der Aufwand um die räumliche Situation in der Post-Produktion zu bearbeiten ist jedoch proportional grösser als beim kadrierten Film, der nur eine Fläche bespielt. Dies bedingt, dass für die Postproduktion mit einem grösseren Anteil an den Gesamtkosten zu rechnen ist. Eine frühzeitige Absprache mit den zuständigen Fachpersonen der Postproduktion bezüglich den technischen Anforderungen und den auszuspielenden Datenformaten wirkt sich positiv auf die Kosten aus.
Zum Entscheid monoskopisch versus stereoskopisch: Wir empfehlen schon in der Konzeptionsphase zu entscheiden, ob ein Film mono- oder stereoskopisch realisiert werden soll. Dies insbesondere deshalb, weil der Entscheid nicht nur massgebliche Auswirkungen auf die Inszenierung und die Technik hat, sondern auch auf das Budget. Unsere Experten aus der Praxis rechnen mit doppelten Budget sobald ein Projekt stereoskopisch umgesetzt wird. Dies ist hauptsächlich auf den grossen Mehraufwand beim Stitching-Prozess und in der Post-Produktion zurückzuführen. Aus diesem Grund braucht es gute Argumente, um einen Film in 360° und 3D aufzuzeichnen (dazu mehr im Kapitel Bild der Pre-Produktion).
Die geeignete technische Infrastruktur beeinflusst die Ton- und Bildqualität und ist mit ein Erfolgsfaktor für 360°Filmproduktionen. Für qualitativ hochstehende Produktionen mit hoher Bildauflösung und mehrdimensionalem Ton werden Kameras und Mikrophone die entsprechend hohen Kosten verursachen (bspw. Mietpreise).
Die Qualität eines Films hängt jedoch nicht allein von der Qualität der technischen Mittel ab, sondern wird oft entscheidender über die Ebene der einfallsreichen Konzeption und einer packenden Erzählung erreicht. Hinweise zu budgetrelevanten Kosten bezüglich Ton sind im Kapitel Post-Produktion zu finden.
Pre-Produktion
Basis für die Pre-Produktion bildet ein Projektbeschrieb, der über alle konkreten Schritte der Umsetzung Auskunft gibt. Die einzelnen Szenen sind darin beschrieben und auch, wie mit der Bild- und Tonebene umgegangen wird. Darauf aufbauend sind Entscheide bezüglich Equipment und Drehort zu fällen. Bezogen auf die technische Umsetzung sind verschiedene Fragen zu klären:
Kamerawahl
Braucht es den 3D Effekt bei der Betrachtung des Werkes im HMD? Unterstützt die räumliche Darstellung , wie er durch eine stereoskopische Umsetzung erreicht wird, die Aussagekraft des Films oder ist eine monoskopische Darstellung genügend (siehe Artikel Mono/Stereoskopie )?
Die Beantwortung dieser Fragen bildet eine der wichtigsten Entscheidungskriterien für die Wahl der Kamera. Daneben spielt natürlich auch das vorhandene Budget und die Form des Kamera-Einsatzes eine wichtige Rolle: wird mit viel bewegter Kamera gearbeitet? Wie zugänglich ist der Drehort? Welche Bild-Qualität ist erwünscht und welches Endformat ist vorgesehen?
Aus der Praxis: beim Filmprojekt NACHTSPIEL, das aus einer Plansequenz einer Nachtaufnahme besteht, hatten wir uns für eine lichtstarke Kamera entschieden. Gleichzeitig sollte die Kamera Grunddaten für ein gutes stereoskopisches Bild liefern, da es ein zentrales Anliegen war, die räumliche Situation möglichst authentisch abzubilden. Mit einem Gesamtbudget von rund CHF 70’000 waren die Möglichkeiten jedoch begrenzt. Zum Einsatz kam eine Insta360 Pro Kamera mit Mietkosten von insgesamt CHF 1800 (3 Tage à CHF 600).
Tonsetting
Komplexe Bild- und Tonsettings verursachen ebenfalls höhere Kosten, dies nicht nur beim Dreh, sondern vor allem bei der Postproduktion. Dabei ist es wichtig, ans Zielmedium zu denken. Es stellt sich die Frage nach der räumlichen Wahrnehmung der Klänge. Soll der Ton mit den Kopfbewegungen der Zuschauer mitgehen? Müssen Dialoge klar erfasst werden können? Spielt die Platzierung von Geräuschen eine zentrale Rolle? Bei qualitativ hochstehenden HMD’s mit zusätzlich guten Kopfhörern steigert ein guter, räumlicher Ton das Erlebnis markant. Dies kann – im Vergleich zum Aufwand bei der Bildproduktion – mit überschaubaren Kosten erreicht werden.
Aus der Praxis: NACHTSPIEL wurde für die Rezeption mit einem HMD und hochwertigen Kopfhörern entwickelt. Analog zum stereoskopischen Bild war uns ein guter, räumlicher Set-Ton wichtig. Ein Ambysonic-Mikrofon sollte die Basis bilden, unterstützt von weiteren Mono-Mikrofonen, die bestimmte Geräuschquellen erfassten. Die Mietkosten für Mikrofonie und Recorder betrug rund CHF 1500 für einen Tag.
Drehort
Wie im konventionellen Film kommt auch im 360°Film der Wahl des Drehorts eine zentrale Bedeutung zu. Verschiedenes ist zu klären: Ist die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit des Drehortes gewährleistet. Kann man den Drehort absperren? Müssen Bewilligungen eingeholt werden? Ist mit ‘Störgeräuschen’ zu rechnen (bspw. Baustelle in der Nähe)?
Des Weiteren kommen die spezifischen Charakteristika des 360°Films zum Tragen: es muss berücksichtigt werden, dass der ganze Raum abgebildet wird und alles, was in der Postproduktion herausgefiltert werden muss, viel Aufwand und dadurch zusätzliche Kosten verursacht. Entspricht der ausgewählte Ort mit der gesamten (360°) Umgebung den Ansprüchen des Projekts? Wo wird das Licht platziert? Wo versteckt sich das Filmteam während des Drehs? Was bleibt sichtbar und was kann derart ‘vorbereitet’ werden, dass es möglichst einfach in der Postproduktion heraus retuschiert werden kann?
Aus der Praxis: Bei NACHTSPIEL war die ursprüngliche Idee, die Feuereffekte in der Nacht auf möglichst schwarzem Hintergrund abzubilden um die Umgebung dadurch ‘unsichtbar’ werden zu lassen. Es wurde nach einem Drehort mit wenig Fremdlicht gesucht. Die Wahl fiel auf einen abgelegenen Kohlplatz im Wald, einen Ort, wo Holzkohle produziert wird. Mit «Löschi», einem Material bestehend aus kleinsten Kohleteilchen, wurde eine Landschaft aufgebaut und darin die Feuerwerkskörper platziert. Bei Testaufnahmen zeigte sich, dass bei hellen Effekten die umgebenden Bäume zu sehen sind und die von Kohlepartikel schwarzgefärbte Landschaft zu sehr reflektiert. So wurde entschieden, die Umgebung nicht in den Hintergrund zu drängen, sondern sie in die Inszenierung mit einzubeziehen.
Der neue Drehort fand sich auf einer alpinen Hochebene, wo mit Schnee eine passende Umgebung gestaltet wurde. Die Schneelandschaft wurde in die Dramaturgie mit einbezogen. Interessanterweise wird die Umgebung nicht gleich mit Schnee in Verbindung gebracht. Die Oberflächenbeschaffenheit erinnert im Filmlicht an Wachs. Diese subtile Irritation unterstützt die Erzählung im Film. Das Erkunden und die individuelle Erfahrung des Raums wird essentieller Bestandteil des Werks. Die Kamera und das darunter platzierte Mikrofon wurden in der Postproduktion weg retuschiert.
Equipment
Es gilt nicht nur, das Equipment auszuwählen, sondern dieses vor Ort auch zu testen. Ebenso müssen mögliche Schwierigkeiten antizipiert und Sicherheitsmassnahmen getroffen werden. Wie wird reagiert, wenn z.B. eingesetzte Systeme nicht optimal funktionieren oder nicht aufeinander abgestimmt werden können (bspw. könnte ein nicht immer zuverlässig arbeitendes Timecode-System durch eine Klappe unterstützt werden)? Ist eine durchgehende Stromzufuhr gewährleistet? Wie können Aufnahmestörungen überbrückt werden (bspw. durch ein zusätzliches Mikrofon an einem unabhängigen Recorder)?
Testaufnahmen, Proben und Materialchecks
Noch mehr als im konventionellen Film ist es notwendig, dass im 360°Film Testaufnahmen gemacht werden, da Erfahrungswerte fehlen. Ideal ist es, wenn die Aufnahmen gleich vor Ort auf einem HMD angeschaut und dadurch geprüft werden können. Weiter gilt es, sich Gedanken darüber zu machen, wie Bild und Ton synchronisiert werden. 360°Kameras sind nur selten mit einer Synchronisationsfunktion ausgestattet. So wird oft die altbewährte Klappe eingesetzt. Weitere Punkte, die es zu beachten gilt: die Auswahl von geeigneten Stativen für statische und bewegte Aufnahmen, das Platzieren der Mikrophone und der Rekorder, die Energieversorgung, Lichtsetzung und nicht zuletzt das Back-Up der Daten.