Schrift und Typo.
im Raum kühn, lesbar und stilvoll platzieren.
Schrift in Form von Zwischen- oder Untertiteln sowie Titelvorspannen unterstützt bis heute die Narration und Distribution von Filmen, markiert dabei aber auch Grenzen: sprachliche (Untertitel), räumliche (Untertitel), zeitliche (Vor- und Abspann) und bildlich-narrative (Zwischentitel). Ihr Ort im Film ist dabei in der Regel der Rand: als Untertitel übersetzt die Schrift die gesprochene Sprache und in Form von Vor- und Abspann markieren sie den zeitlichen Anfang und das Ende. Was passiert jedoch, wenn sich Schrift in einem neuen Bildmedium befindet, das explizit damit wirbt, bestehende Grenzen des Bewegtbildes aufzuheben? 360°Filme verfügen zwar noch über zeitliche Ränder, aber Untertitel sind nicht zwangsläufig unten, wenn sich das Bild dem Blick anpasst, ihm folgt und so die Illusion einer Rundumsicht ermöglicht. Schrift im Film strukturiert den Blick, indem sie eine bestimmte Leserichtung vorgibt. Fast automatisch heftet sich der Blick der Zuschauenden auf die Buchstaben, da man es gewöhnt ist, sich eben dieser zur Erschließung einer bildlichen Realität zu bedienen. Mit Blick auf VR-Filme, stellt sich die Frage, ob das auch für dieses neue Medium gilt oder die Gegebenheiten das Mischungsverhältnis anders beeinflussen. Was ist dominant bei der intermedialen Fügung von Schrift und virtueller Realität, die etwas anderes ist als das Schrift-Bild-Verhältnis? Sind es filmische Konventionen, die dieses Verhältnis dominieren oder gibt es Verschiebungen? Da Virtual Reality im filmischen Zusammenhang als eine Weiterentwicklung (oder Konkurrenz zu) den herkömmlichen filmischen Formaten gesehen wird, muss man sich bei diesen Fragen also auch mit der Entwicklung der Schrift im Film beschäftigen und den Veränderungen, die damit einhergingen. Was sind neue Möglichkeiten der Schrift im VR-Film und was Fortführungen bestehender Merkmale?
Bis vor einigen Jahren war der Vorspann auch die Stelle im Film, an der frei von sonstigen Konventionen mit der Schrift experimentiert werden konnte. In gewissem Sinne ist jedoch auch das eine Konvention, da man dem Film an dieser Stelle solche eine „Spielerei“ zugesteht. Zahlreiche Publikationen stellen vor allem die graphischen Leistungen der Vorspanndesigner heraus, denen es gelang, auf anregende und abwechslungsreiche Art und Weise Schrift und Bild zu verbinden. Inzwischen ist es aber üblich geworden, keine Titeleien mehr an den Anfang zu stellen und dafür den Abspann ausführlicher zu gestalten.
In der Spiel- und Dokumentarfilmgeschichte kommt Schrift in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle die Rolle eines Hilfsmittels zu. Auch wenn Sherlock (BBC-Serie GB 2010–) und Stranger Than Fiction (Marc Foster, USA 2006) Beispiele aus dem konventionellen Spielfilm, beziehungsweise Serienformat sind, vermitteln sie aufgrund der zeitlichen Nähe eine Andeutung davon, was mit Schrift in einer VR-Umgebung passieren könnte, dass sie nämlich eine räumliche Komponente bekommt, die über den Schlagschatten hinaus geht.
Anders als die angesprochenen Beispiele, für die die alltägliche Monitorschrift zu abzubildenden Realität gehört, setzen D3D- und VR-Filme wieder viel verstärkter auf eine Trennung von Bild und Schrift. Die realere Nachahmung der Realität wird zwar versprochen, aber was eben zu dieser Realität gehört, wird zuvor ausgewählt.
Für Untertitel gibt es zwei gängige Verfahren, die die meisten VR-Filme anwenden. Das eine setzt die Untertitel in die untere Bildhälfte, ausgehend von den im Bild sichtbaren Elementen. Bei sprechenden Personen finden sich die Untertitel analog zum herkömmlichen Film auf der Höhe des Bodens, auf dem sie stehen, bei nahen Einstellungen unterhalb des Gesichts. Wenn sie nicht einer Person direkt durch die Positionierung zugeordnet sind, finden sie sich meist insgesamt dreimal in der Szene und zwar gleichmäßig im Abstand von 120°, so dass der/die Zuschauer*in diese lesen kann, egal in welche Richtung er/sie blickt. Bei der anderen Alternative werden die Untertitel nur auf jener Person positioniert, die gerade spricht. Dies bringt im Vergleich zum anderen Verfahren den Vorteil, dass man durch die Kopplung von Sprechender*m und Übersetzung auch eine Blickrichtung vorgibt, durch die gewährleistet wird, dass man als Zuschauer*in auch in die Richtung schaut, in der gerade das für die Aufnahme Wichtige passiert.
In diesem Sinne kommt der Schrift im VR-Film generell eine wichtige Rolle zu. Insbesondere am Anfang eines Filmes kann die Titeleinblendung die Zuschauer*innen davon versichern, in die richtige Richtung zu schauen. Strukturiert Schrift im herkömmlichen Filmbild das Bild, weil sie den Blick auf der Fläche lenkt, so kann Schrift im VR-Film die Blickrichtung beeinflussen, vor allem, wenn es sich um für das Verständnis notwendige Schrift handelt. Gleichzeitig kann der Film auch seinen Grad der Zuschauerführung transparent machen. Werden die Titeleien in allen drei 120°-Bereichen eingeblendet, ist möglicherweise weniger Blickführung zu erwarten.
Eine Verbindung von Schrift und Bild, bei der die Schrift nicht nur auf einzelne Elemente Bezug nimmt, sondern auf die Bildkomposition insgesamt, ist dabei gleichzeitig eher selten, weil genau dieses Verhältnis deutlich loser ist. Für die Positionierung auf der Fläche (das von Rancière beschriebene „Durcheinander von Worten und Formen“ (Rancière 2005: 121)) braucht es im Allgemeinen einen Rahmen, der die Bezüge steuert und regelt. Dieser fällt beim VR-Film nun weg, beziehungsweise verändert sich von einem ehemals graphischen zu dem des Apparates (die Brille) oder den des Formates (Anfang und Ende). Hat Schrift im flächigen, begrenzten Bild zur Strukturierung beigetragen, bekommt sie im VR-Film eine performative Ebene, da sie nicht nur körperliche Bewegungen veranlassen kann, sondern eben Informationen darüber liefert, ob in die „richtige“ Richtung geschaut wird.
Bei der Sichtung verschiedener Beispiele ist zudem aufgefallen, dass die Lesbarkeit längerer Zwischentitel sich deutlich von der im Film unterscheidet. Die größte Hürde im Film ist die Zeitlichkeit. Größere Textblöcke gerade zu Beginn eines Films bringen Unruhe, da sich das Publikum zu Beginn nicht sicher sein kann, dass ausreichend Zeit zur Rezeption zur Verfügung gestellt wird und die Schrift wieder verschwindet, bevor man sie ganz gelesen hat. Die Zeitlichkeit ist für die Schrift eine neue Dimension. Eine Faustregel besagt, dass man als Verantwortlicher die Schrift zweimal in Ruhe lesen können muss, damit sie auch für langsamer lesende Zuschauende ausreichend lange rezipierbar bleibt. Allerdings kann ein Film auch die Regeln für sein Publikum definieren. Wenn die Schrift schneller als erwartet wieder verschwindet, wird man versuchen, sie schneller zu lesen. Wenn in Filmen wie Man on Fire (Tony Scott, USA/UK 2004) die Untertitel immer wieder animiert werden, passt man sich ebenfalls rasch an und versucht dies mit dem visuellen Stil des Regisseurs in Einklang zu bringen. Aufgrund der interaktiven Möglichkeiten sind Experimente mit konventionalisierten Schrifteinblendungen im VR-Film seltener. Hier ist nicht nur die Zeitlichkeit eine Herausforderung für die Lesbarkeit, sondern auch die Beweglichkeit des Sichtfeldes. Aufgrund der teilweise geringeren Auflösung der Brillen werden zu kleine Buchstaben und zu lange Zeilen als schwer lesbar wahrgenommen. In den von mir analysierten Beispielen war eine Zeilenlänge von bis zu fünf Wörtern als noch angenehm zu lesen. Wurden die Zeilen länger, stellte das vor allem im Bezug auf die Räumlichkeit ein Problem dar und man sah die Schrift teilweise doppelt. Der Designer Volodymyr Kurbatov schlägt für eine möglichst angenehme Leseerfahrung vor, nicht mehr als 20 bis 40 Zeichen pro Zeile zu verwenden (vgl. Kurbatov 2017).
Da innerhalb der VR-Filme das Thema der Blicksteuerung immer noch eines der wichtigsten ist, wird der Schrift vermutlich noch länger vornehmlich die Aufgabe zukommen, eben diese zu unterstützen. Wie im Stummfilm kommen ihr primär informationskommunizierende Aufgaben zu. Als subtiles Mittel der Blick- und Zuschauer*in-Steuerung kann sie ein weiteres Gestaltungselement innerhalb des VR-Films sein. Um aber die der Schrift eigene Potentiale freizulegen, die in der Verbindung mit VR zu neuen Möglichkeiten führen würden, müsste sie jedoch von diesen Aufgaben befreit werden. Es ist daher anzunehmen, dass die interessanteren Schriftanwendungen innerhalb einer VR-Verbindung nicht unbedingt im filmischen Bereich liegen werden.
Literatur
Kurbatov, Volodymyr: «10 Rules of Using Fonts in Virtual Reality», medium, 22.11.2017, online: https://medium.com/inborn-experience/10-rules-of-using-fonts-in-virtual-reality-da7b229cb5a1 (abgerufen am 7.10.2019).
Rancière, Jacques (2005): Politik der Bilder, Zürich: Diaphanes.
Der originale Artikel zu Schrift in der virtuellen Realität (Krautkrämer 2019) findet sich hier:
Schrift in der virtuellen Realität.