Storyboarding in 360°
Erstellt Welten und nicht Frames
Ein schwieriger Aspekt im 360°Film ist die Planung, stehen dazu doch noch keine etablierten Darstellungs-Tools zur Verfügung. Bei konventionellen Filmprojekten - in der 360°Filmcommunity liebevoll auch ‘Flatties’ genannt - wird im Entwurfsstadium häufig ein Storyboard erstellt. Jede einzelne Einstellung wird gezeichnet und mit zusätzlichen Angaben zur Inszenierung, zu Bewegungen und den Dialogen versehen. Es vermittelt alle wichtigen Informationen für die Filmcrew, wie bspw. Einstellungsgrössen oder welche Schauspielerin wie aufgenommen werden soll. Es entsteht, ähnlich wie in einem Comic, eine chronologische Abfolge, die nicht nur die Handlung des Films beschreibt, sondern auch Informationen zur Dramaturgie oder zur Stimmung im Film wiedergeben kann. Das Storyboard dient als wichtiges Kommunikationsmittel und wird als immer wieder aktualisiertes Arbeitsinstrument nicht nur beim Entwurf, sondern auch als Vorlage für den Dreh wie auch für die Planung des Schnitts eingesetzt.
360°Filme dagegen bestehen nicht aus einer linearen Folge von Einstellungen, wie dies normalerweise im konventionellen Film der Fall ist, sondern aus einer einzigen 360°umfassenden Raumdarstellung oder einer Aneinanderreihung von Räumen. Daraus ergibt sich, dass die althergebrachte Form des Storyboards nicht übernommen werden kann. Die Darstellung sollte räumliche Aspekte mit einbeziehen. Wie könnte eine solche räumliche Zeichnung aussehen?
Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich insofern, dass die Dauer einer Einstellung im 360°Film wesentlich länger ist. Entsprechend ist ein Beschrieb der Aktivitäten mit allen relevanten Zusatzangaben in einem Bild nicht realisierbar. Eine für den 360°Film geeignete Entwurfsdarstellung hat sich bis jetzt noch nicht herausgebildet. Es fragt sich auch, ob man bei der Bezeichnung Storyboard bleiben kann, oder ob nicht eher von «Worldboards» oder «Sphereboards» gesprochen werden sollte. Da im Kern aber immer noch das Narrativ, also die Abfolge einer Handlung die in einem kausalen Zusammenhang steht, die entscheidende Komponente ausmacht, ist die Bezeichnung Storyboard auch nicht ganz falsch. In der Folge werden unterschiedliche Darstellungsansätze beschrieben, die sich grundsätzlich am klassischen Storyboard orientieren, aber auch auf die spezifischen Bedingungen im 360°Film eingehen.
In Bezug auf das Erzählen ist eine Stärke des 360°Films, dass man in Welten eintauchen und unterschiedliche Facetten entdecken kann. Die rezipierende Person kann aus verschiedenen Details eine individuelle Interpretation vornehmen und so einen eigenen, persönlichen Weg durch den Film entdecken. Die betrachtende Person kann Teil dieser virtuellen ‘Welt’ werden. Für die Planung müssen daher im Storyboard keine Frames oder Einstellungen beschrieben werden, sondern der vollständige 360°Raum.
Aus der Praxis: Beim Dreh für die Schlussszene des Films Inspector Crazy (SRF360, 2018) gab es in der ersten Szene diverse Handlungen, welche die Schauspieler und die Regie vorab üben mussten. Für die Proben stand aber nur wenig Zeit zur Verfügung. So musste für die effektive Kommunikation des Szenenablaufs eine passende Visualisierungsmethode gefunden werden.
Bei «Inspector Crazy» wurde dazu in einem ersten Versuch die gesamte Szene aus der Vogelperspektive gezeichnet, so dass sich eine handlungsbezogene Übersicht über die komplette Szenerie ergab. Anhand dieser Darstellung konnte den Schauspieler*innen die Bewegungsabläufe erklärt werden. Hilfreich waren dabei die Ansätze von Andrew Leicht und Jessica Brillhart. Diese prototypische Darstellung war jedoch nicht selbsterklärend und erforderte zusätzliche Erläuterungen.
Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde entsprechend nach Darstellungsmöglichkeiten gesucht, die weniger zusätzliche Informationen erfordern. Weiter wurde nach Formen gesucht, die eine sehr weite Aufnahme und mehrere Aktionen im gleichen Frame darstellen lassen. Als Referenz diente dabei eine Darstellung aus dem Storyboard für einen James Bond Film von Syd Cain (2015). Cain plante damit eine Actionszene in dem er die einzelnen Schritte in einem grossen Frame zeichnete. Damit konnten sich z.B. die Stunt-Leute ein Bild davon machen, wie die Szene gedacht war.
Die Kombination der beiden Ansätze führte schliesslich zu folgendem Ergebnis:
Weiter wäre es möglich, über das isometrische Template, mit transparentem Papier mehrere, übereinander liegende Ebenen zu schaffen. So kann festgehalten werden, wie das Schauspiel gedacht, die Requisiten platziert oder wo die Technik vorgesehen ist. Ergänzend kann auch eine Ebene für den Schnitt entstehen, ebenso wo der Fokus der Aufmerksamkeit beim Anfang und am Ende der Einstellung sein soll.
Der Filmemacher Sina Dolati hat eine weitere Variante für 360°Storyboards entwickelt, in der nicht nur das im Sichtfeld spielende dargestellt ist, sondern auch was sich unter- und oberhalb der Kamera befindet.
Storyboarding mit digitaler Unterstützung
Als Alternative kann für das Storyboarding in 360° auch Software genutzt werden. Beispielsweise die ShotPro-Applikation. Mit Hilfe von bereits erstellten 3D-Objekten und Animationen können damit Szenen schnell und effizient dargestellt werden.
Anschliessend wird in der Szene eine sehr weitwinklige Kamera platziert und die Kamerarichtung umgedreht (siehe Abb. unten). Die Kamera kann natürlich, nach Bedarf, auch eine isometrische Perspektive annehmen. Somit erhält man schnell einen räumlichen Überblick über eine Szene.